Wie man unter Frauen gut lachen kann – Line Ruffieux erzählt
Line Ruffieux aus Fribourg, Schweiz, kam Ende Oktober 2019 das zweite Mal zu Calcutta Rescue, diesmal als fertig ausgebildete Krankenpflegerin. Bereits ihre Eltern unterstützten in jungen Jahren die Organisation in Kalkutta. Line brachte diesmal sogar ihren Freund Yooby mit, der als Marketing- und Excel-Experte tatkräftig das Calcutta Rescue Office unterstützte.
Line arbeitete intensiv mit dem Team in der Nimtala Ambulanz und kümmerte sich an zwei Tagen in der Wochen um die Gesundheit-Checkups der Schüler und Schülerinnen in den Schulen. Eine der Grundlagen der Arbeit in Nimtala war die Poverty-Study über die verschiedenen Slumgebiete vom vergangenen Jahr, die einiges an besonderen Feldern offenlegte und Line ermöglichte, Wissenslücken mit wichtiger Aufklärung zu füllen. Ein Thema lag ihr besonders am Herzen und dazu hat Line einen Bericht verfasst. Viel Spass beim Lesen!
Kondom-Verteilung in den Slums ….oder wie man unter Frauen gut lachen und gleichzeitig eine gewisse therapeutische Erziehung erreichen kann?
Seit einiger Zeit erlebe ich ein spannendes Abenteuer in Kalkutta, wo ich für Calcutta Rescue arbeite. Tatsächlich habe ich mich kurz nach meinem Bachelor-Abschluss in der Krankenpflege entschieden, nach Indien zu gehen und ehrenamtliche Arbeit zu leisten.
Ich war bereits vor 4 Jahren für Calcutta Rescue tätig und wollte nach meiner Ausbildung zurückkommen, um einen Teil meines Wissens einzubringen und es mit den Mitarbeitern von Calcutta Rescue in der täglichen Praxis auszutauschen und anzuwenden. Kommt mit mir. Ich erkläre Euch die Bedeutung des Titels!
Tatsächlich arbeite ich seit einigen Wochen daran, zunächst den Mitarbeitern Kurse zur therapeutischen Ausbildung zu geben, damit sie das später den Patienten und Slumbewohnern alles beibringen können. Alle Themen sind sehr wichtig, das Team ist sehr interessiert und sie versprechen mir, jeden Morgen die Fortbildungsposter und Instruktionen zu nutzen, um den Patienten die notwendigen Ratschläge zu geben!
Die Diskussionen nach dem Unterricht laufen gut, und ich lerne genauso viel von ihnen wie sie von mir. Allerdings muss ich zugeben, dass die Diskussionen nach dem Kurs über Verhütungsmittel meine Erwartungen übertroffen haben. Sie sind super interessiert, aber leider immer noch ein wenig altmodisch (Warum sollte ich beim Geschlechtsverkehr das Gefühl verlieren, wenn ich ein Kondom anziehe, wenn meine Frau die Pille nehmen kann? Also, ja, mein Lieber, Ihre Frau kann zwar die Pille nehmen, aber haben Sie über die Nebenwirkungen und Risiken der verschiedenen Arten von hormonellen Verhütungsmitteln nachgedacht)?
Meine etwas feministische Seite war gekitzelt und ich versuchte, sie zum Nachdenken über die verschiedenen, oft übersehenen Punkte zu bewegen. Das hat funktioniert und ich habe eine Veränderung in ihren Vorstellungen erzielen können und damit eine andere Übertragung auf die Patienten zu vorher. Während dieses Kurses wurde auch gelacht, denn “die beste Verhütung ist immer noch, sich so weit wie möglich von den Frauen zu entfernen”.
Nach viel Kichern und Lachen und einigen aussagekräftigen Diskussionen beschlossen wir, mit einer Mitarbeiterin in den Slums von Tür zu Tür zu gehen, um therapeutische Aufklärung zu betreiben und schliesslich ein oder zwei Packungen Kondome in die Damen-Saris zu stecken. Ich erwähne diese Damen, weil die Männer an diesem Thema leider nicht sehr interessiert sind und sich bereits geweigert haben, ihre Frauen ein Verhütungsmittel benutzen zu lassen. Danach bleibt die große Frage, wie geschickt die Frauen sind, um dem Ehemann vor dem Akt diskret das Kondom überzustülpen…?
Das Problem der Empfängnisverhütung und der Gleichstellung der Geschlechter bleibt angesichts der unterschiedlichen Umfelder in Indien und vor allem in den Slums sehr groß. Wir versuchen Männer in Diskussionen und Entscheidungen einzubeziehen, aber sie reagieren oft nicht positiv auf diese Art von Themen.
Diese Ausflüge in die Slums bleiben für mich jedoch etwas ganz Lustiges und Aussergewöhnliches. Tatsächlich laufen wir mit den therapeutischen Erziehungsratgebern (die sehr aussagekräftige Bilder enthält) in der Hälfte gefaltet und versteckt herum, um die Menschen nicht zu schockieren und entfalten es diskret, umgeben von 5 oder 6 herumwitzelnden Frauen, um ihnen die verschiedenen Möglichkeiten zu erklären. Danach nehmen wir sehr diskret eine Packung Kondome heraus und stecken sie in ihre Einkaufstasche oder in eine Falte ihres Saris, während sie sich beim Betrachten der Bilder, die die Vasektomie erklären (Durchtrennung der Samenleiter beim Mann), gegenseitig auslachen.
Von Zeit zu Zeit erlauben wir uns mehrere Pakete einzuschieben, denn, wie meine indische Kollegin mir übersetzen kann, “ihr Mann war lange weg und kommt morgen zurück, deshalb ist es besser, zwei Pakete zu geben”.
Wir haben die Bestätigung, dass unsere kleinen Exkursionen Früchte tragen, da wir merken, dass wir die Verteilung ausweiten müssen. Wir würden uns wünschen, dass diese Frauen in die Klinik kommen, um das zu bekommen, was sie brauchen, aber ihre Schüchternheit und der Tabu-Aspekt dieses Themas hindert sie daran, dies vorerst noch zu tun.
Arbeiten und Erfahrungen sammeln in der "Stadt der Freude"
von Stefanie Heckenberger, 2015
In meinem Aufenthalt von Calcutta Rescue war ich hauptsächlich in der mobilen Ambulanz eingesetzt. Es waren vier Slums, die regelmäßig angefahren wurden. Außerdem war ich noch eine Woche in der Chitpur Ambulanz, in der die Leprakranken versorgt werden.
Jeden Tag fuhren wir mit dem Bus in einen Slum. Täglich kamen im Durchschnitt 30 Patienten, die in der mobilen Ambulanz versorgt wurden. Es wurden Verbandswechsel bei frischen und alten Wunden, bei Verbrennungen, sowie bei Leprakranken durchgeführt. Einige benötigten "nur" Medikamente. Die Straße ist natürlich ein hygienisch schlechtes Umfeld. Trotz Schmutz, Lärm, Gestank und Hitze haben die Mitarbeiter und ich versucht, die Verbandswechsel so gut es ging hygienisch zu verbinden, was uns meines Erachtens den Umständen entsprechend auch gut geling. Ich bin der Meinung, dass die Mitarbeiter in der mobilen Ambulanz die größte Herausforderung von Calcutta Rescue zu leisten haben, da sie das ganze Jahr über dem Wetter ausgesetzt sind. Von sehr heiß im Hochsommer bis zur Überschwemmung in der Regenzeit. Davor hatte ich sehr großen Respekt, da mir persönlich die Hitze sehr zu schaffen machte.
Besonders blieb mir ein Mann in Erinnerung, der während meinem Aufenthalt in der mobilen Ambulanz mit Maden im Bereich des Steißbeins kam. Er hatte ein ca. 20 x 20 cm großes "Loch" am Steißbein, das schon nekrotisiert aussah. Beim Entfernen des bestehenden Verbandes fielen gleich mal ca. 200 Maden aus dem "Loch" am Steißbein. Die restlichen Maden in der Wunde versuchte man einzeln herauszunehmen, aber alle Maden, das war einfach nicht möglich. Er kam ein paar Tage später wieder zum Verbandswechsel und er wurde dann auch ins Krankenhaus eingewiesen. Ob er da hingegangen ist, ist fraglich. Was weiterhin mit ihm geschehen ist, konnte ich nicht mehr verfolgen.
Obwohl die Menschen in den Slums in bitterster Armut leben, war es für mich eine tolle Erfahrung zu sehen, dass die Menschen trotzdem ein Lächeln in Ihren Gesichtern hatten und zufrieden wirkten. Eine Verständigung auf Englisch war nicht möglich, nur mit Hilfe der Übersetzung der Mitarbeiter. Aber auch das hat mir gezeigt, dass die Sprache mit Händen und Füßen immer und überall möglich ist.
Der Aufenthalt und Einblick von Calcutta Rescue war bisher die wertvollste Erfahrung für mich. Es sind die vielen Menschen und Geschichten, die diese Erfahrung zu einem unvergesslichen Erlebnis für mich machten.
Kalkutta ist eine Stadt mit sehr vielen unterschiedlichen Eindrücken - gute und weniger gute. Nichtsdestotrotz kann ich wirklich bestätigen, dass diese Stadt zu Recht die "Stadt der Freude" ist. Ich habe noch nie soviel Armut und gleichzeitig lebensfrohe Menschen gesehen.
Danke Kalkutta!
von Desiree Kappmeier
Ich kam im Herbst nach Kalkutta. Der Monsun ging dem Ende zu. Die Luft war feucht und rauchgeschwängert aufgrund der unzähligen Motorrikschas, Autos, Busse und Lastwagen, die sich auf der Straße Platz verschafften. Zu dem bestehenden Verkehrschaos kamen Laufrikschas, Kühe, Ochsenkarren und Fußgänger. Erstaunlich flink und gewandt bewegte sich jeder Einzelne in dieser Enge fort ohne daß es in diesem Verkehrschaos wesentliche Zusammenstöße gab. Die Hupe war das erste und maßgebende Verkehrsmittel weit vor der Ampel.
Während meines dreimonatigen Aufenthaltes war ich in der Tala Park Ambulanz eingesetzt, der Straßenambulanz, deren Schwerpunkt auf Kinder- und Frauenheilkunde sowie in der Schwangerschaftsvorsorge liegt.
Ich stellte die von den Ärzten verordneten Medikamente zusammen, die dann mit Hilfe eines Übersetzers an die Patienten ausgeteilt wurden, machte Verbände und mußte die Reihen der wartenden Patienten „checken“, was ich als besonders schwierige Aufgabe empfand: Allmorgentlich stellten sich 200 bis 300 Mütter mit ihren Kindern in Reihen vor den Ärzten auf. „Checken“ hieß, die Schwächsten unter den Kranken an vorderster Stelle einzureihen, damit sie als erstes medizinisch versorgt werden konnten. Doch wer von diesen Kranken war schwerer erkrankt als der andere? Zwischen Anfang und Ende der Reihe lag ein Vormittag Wartezeit und viele der Patienten hatten bereits mehrere Tage Anreise von ihren Dörfern bis zur Klinik in Kauf genommen.
Interessant war der Einblick in die Arbeit der indischen Mitarbeiter. Die „Healthworker“ (Gesundheitsarbeiter) informierten die Patienten über Ernährung, Kinderpflege, Hygiene im Alltag, Familienplanung und vieles mehr. Ich lernte ihre Arbeit sehr schätzen. Es kamen beispielsweise immer wieder Mütter, die aufgrund ihrer Unterernährung ihre Kinder nicht stillen konnten und sie stattdessen mit nichtabgekochtem Zuckerwasser fütterten. Die Folgen waren schwere Durchfälle und Mangelerscheinungen bereits in den ersten Lebenswochen. Durch die Aufklärungsarbeit der „Healthworker“ und spezielle Ernährungsprogramme für Neugeborene erholten sich die Winzlinge gut und nahmen an Gewicht zu.
Bei der Arbeit im „Dressing room“, dem Bereich der Klinik, in dem Wunden behandelt und Impfungen durchgeführt werden, blieb mir besonders eine junge Frau in Erinnerung, die während ihrer Schwangerschaft von der Familie ihres Mannes mißhandelt und angezündet wurde und dadurch schwerste Verbrennungen am gesamten Oberkörper davontrug. Sie mußte regelmäßig mehrere Stunden mit dem überfüllten Bus von ihrem Dorf zur Klinik fahren. Wenn sie bei uns ankam, war ihr Gesicht vor Leid und Angst verzerrt. Ich weiß nicht, wie oft sie auf der Fahrt angerempelt wurde und dadurch heftigste Schmerzen erlitt. Nach regelmäßigen Verbandswechseln heilten ihre Wunden allmählich ab. Es war wunderschön sie nach so langer Zeit lächeln zu sehen.
Der Aufenthalt und der Einblick in die Arbeit von Calcutta Rescue waren eine wertvolle Lebenserfahrung für mich. Es sind die vielen Menschen und ihre Geschichten, die mir diese Erfahrung schenkten.
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