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Liebe Freundinnen und Freunde von Calcutta Rescue,

শুভ নববর্ষ। - ein sehr glückliches neues Jahr für Euch und Eure Familien!

Am Mittwoch wurde das bengalische Neujahr gefeiert und obwohl es vielleicht nicht sehr verheißungsvoll mit der Verlängerung der indischen Abriegelung bis zum 3. Mai begonnen hat, hoffen wir doch alle auf bessere Tage, sobald wir das Coronavirus unter Kontrolle gebracht haben.

Es besteht kein Zweifel, dass die nächsten Monate hier in Kalkutta eine Herausforderung sein werden, sowohl für alle, die von Calcutta Rescue unterstützt werden, als auch für die Organisation selbst. Das Ausmaß dieser Herausforderung wird gerade erst deutlich, da sich die Situation hier dramatisch verändert hat, seit ich Euch vor zwei Wochen das letzte Mal geschrieben habe. Die Zahl der bestätigten Fälle in Westbengalen ist auf 312 angestiegen, mit bisher 12 bestätigten Todesfällen. Die Testraten in diesem Bundesstaat sind die niedrigsten in Indien, nur 25 pro einer Million Menschen, verglichen mit einem nationalen Durchschnitt von über 100. Die tatsächliche Zahl der Fälle dürfte also weitaus höher liegen.
Als in Kalkutta in einigen Gebieten Fälle des Virus festgestellt wurden, begannen die Stadtbehörden damit, ein Dutzend Bezirke abzuriegeln, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen.  Vor einer Woche, gerade als wir uns auf einen zweiten großen Versuch vorbereiteten, Hunderte von Menschen wieder mit Medikamenten zu versorgen, riegelten sie einen Slum ganz in der Nähe der Talapark-Ambulanz ab, nachdem dort drei Personen als Träger des Virus identifiziert worden waren. Dies und der darauf folgende Medienrummel, bei dem der Slum als „Ground Zero" im Kampf gegen das Virus in Kalkutta bezeichnet wurde, hat die Ängste in der umliegenden Gemeinde enorm verstärkt.

Dies führte dazu, dass der Gemeindevorsteher, der Calcutta Rescue bisher sehr unterstützt hat, allen unseren Mitarbeitern mit Ausnahme derer, die vor Ort leben, den Zutritt zur Ambulanz untersagte.  Es gab auch Versuche, unsere nahe gelegene Tuberkulose Ambulanz zu schließen, aber Babita, unsere dortige Leitung,  behauptete sich großartig und überzeugte die Beteiligten zu Recht davon, dass unsere Arbeit tatsächlich unter die von der Regierung definierten „wesentlichen Dienste" falle und so das Team seine lebensrettende Arbeit fortsetzen kann.

Talapark ist unsere wichtigste Ambulanz. Dort werden Patientenakten aufbewahrt, wir haben Platz, um Lebensmittel und Medikamente zu lagern und zu verpacken und dort ist auch der Parkplatz für alle unsere Fahrzeuge. Es wäre ein logistischer Alptraum, die Hilfsaktion von einem anderen Ort aus durchführen zu müssen. Also haben wir uns wieder an das Zeichenbrett für einen Plan gewagt und beschlossen, dass wir mit nur sechs Mitarbeitern, die jetzt in Talapark arbeiten können, den Patienten in abgelegenen ländlichen Gegenden zuerst einmal vorrangig Medikamente zukommen lassen. Sobald wir den Gemeindevorsteher davon überzeugen können, die Einschränkungen für die Talapark-Ambulanz zu lockern, planen wir eine umfangreiche Wiederversorgung mit Medikamenten und Nahrungsmitteln für die Bewohner der ganzen Stadt.

Unsere medizinische Leitung Frau Dr. Ghosh und ihr Team haben intensiv daran gearbeitet, 800 Patienten herauszusuchen, die vorrangig Medikamente benötigen.

Und Sib Sankar, der unser Not-Telefon bis zu 12 Stunden täglich besetzt hält, hat auch Anfragen nach Wiederholungsrezepten gesammelt. Wir gehen davon aus, dass wir in den kommenden zwei Wochen zwischen fünf- und sechshundert Patienten erreichen können. Diejenigen, zu denen wir nicht fahren können, werden wir anrufen. Sie sollen versuchen, ihre Medikamente vor Ort zu bekommen, wofür Calcutta Rescue die Rechnung übernimmt.

Am Freitag begannen die Arbeiten an der Verpackung der Medikamente in der Talapark-Ambulanz, die nach geographischen Sektoren verteilt werden, um Zeit zu sparen und sicherzustellen, dass niemand vergessen wird. Es wird nicht einfach sein, sie in die Dörfer zu bringen, vor allem da einer unserer drei verfügbaren Fahrer, Farook, jetzt in dem abgeriegelten Slum eingesperrt ist. Aber ich kann das Engagement des kleinen Teams, das vor einigen Wochen die erste Verteilungsaktion durchgeführt hat, nicht hoch genug loben. Ich bin stolz auf sie und sie sind ebenso entschlossen wie ich, unseren Bedürftigen in den kommenden Tagen die nötige Unterstützung zukommen zu lassen. Natürlich werde ich für ihren Schutz sorgen und wir haben die Verfahren im Zusammenhang mit dem Virus ausgearbeitet und kaufen die nötige Ausrüstung, um ihre Sicherheit an erste Stelle zu setzen.

Nach einer massiven anfänglichen Anstrengung der Regierung und anderer Beteiligter, den Menschen in den ersten Tagen der Abriegelung genügend Nahrungsmittel zu beschaffen, zeigt das System allmählich Anzeichen einer Überlastung. Die Preise für einige Lebensmittel sind innerhalb einer Woche um 20% gestiegen, es gibt einen Mangel an Transport und lange Schlangen von Lastwagen an den Grenzübergängen. Während Lebensmittel auf dem Land noch kein großes Problem zu sein scheinen, haben wir vor einer Woche eine Umfrage unter Patienten und Eltern durchgeführt, die in Slums in der Nähe unserer beiden Bildungszentren leben, und es scheint, dass an einigen wenigen Orten die Grundnahrungsmittel bereits knapp werden.

Wir wissen also, dass Calcutta Rescue in den kommenden Wochen und Monaten eine große Aufgabe zu erfüllen hat, um die Lücken zu schließen. Wir müssen eine zweite Ration Lebensmittel an die Schulkinder von Calcutta Rescue verteilen, jetzt, da die Regierung angekündigt hat, dass die Schulen bis zum 10. Juni geschlossen bleiben.

Und wir müssen den vergessenen Menschen, die im Armutsviertel in Dakhineshwar leben, das wir vor zwei Wochen mit Nahrungsmitteln versorgt haben, die möglicherweise nicht ausreichen, wieder auf die Beine helfen. Und vermutlich auch anderen Gebieten.

Am Montag wird das Team der Nimtala-Ambulanz unsere Wundversorgungspatienten kontaktieren, um zu schauen, wie es ihnen geht und ihnen weitere Verbände geben, die sie zu Hause verwenden können. Das Personal unserer Lepra Ambulanz in Chitpur wird in den kommenden Tagen 8 Hausbesuche durchführen.

Babita und das Tuberkulose-Team haben sehr ausdauernd daran gearbeitet, 43 Patienten ihre Medikamente für eine längere Zeit zur Verfügung zu stellen. Wenn sie sie nicht täglich einnehmen, könnten sie den Kampf gegen diese gefährliche Krankheit verlieren. Tuberkulose Patienten erhalten individuelle Zeitfenster, um in die Ambulanz zu kommen, um das Risiko einer Kreuzinfektion zu minimieren. Ein halbes Dutzend der Patienten lebt innerhalb des abgeriegelten Slums in Belgachia, so dass ihre Medikamente zu den Absperrungen rund um den Slum gebracht wurden, damit sie von dort abgeholt werden können. Seit der Coronavirus-Krise ist die staatliche Versorgung mit Tuberkulose Medikamenten ins Stocken geraten, deshalb wenden wir uns an die Arzneimittelhersteller, um zu versuchen, sie anderswo zu beschaffen.

Dr. Bobby, der viele Jahre lang CEO von Calcutta Rescue war, kümmert sich derzeit um einen Großauftrag für persönliche Schutzausrüstung, die unerlässlich sein wird, damit unsere Ambulanzen nach dem Ende der Abriegelung den Betrieb wieder aufnehmen können. Herzlichen Dank an Dr. Marcello, Dr. Moona und Dr. Alan, die alle im staatlichen Gesundheitssystem im Vereinigten Königreich arbeiten und uns so viele Ratschläge geben, wie wir jetzt und in den kommenden Monaten sicher arbeiten können.

Was die Schulen betrifft, so leisten Leiterin Ananya und ihre Lehrer hervorragende Arbeit bei der Unterstützung der Calcutta Rescue Schüler. Sie haben damit begonnen, Videos von Unterrichtsstunden zu drehen, um sie Schülern, die Zugang zu Smartphones haben, zur Verfügung zu stellen. Da die Regierung angeordnet hat, dass die Schulen bis zum 10. Juni geschlossen bleiben, entwickelt Ananya nun detaillierte Unterrichtspläne für die nächsten sieben Wochen. Nach einem kürzlich erschienenen Zeitungsbericht, dem zufolge die Not-Telefone der Regierung in den ersten 11 Tagen der Schließung eine Rekordzahl von 92.000 Anrufen wegen Kindesmissbrauch und Gewalt erhalten haben, ist die Rolle von Suchandra, unserer Sozialarbeiterin und Psychologin an der Schule, wichtiger denn je geworden. Was das Schulteam tut, ist so beeindruckend und übertrifft bei weitem das, was viele, viel besser ausgestattete Schulen erreichen konnten.

pritiAls ich die Schwierigkeiten der armen Menschen in den letzten Wochen beobachtete, wurde mir klar, dass unsere kleine Hilfsorganisation heute eine größere Rolle zu spielen hat, als sie es wahrscheinlich zu irgendeinem Zeitpunkt seit den Anfängen, als Dr. Jack vor 40 Jahren in Middleton Row zu arbeiten begann, jemals getan hat. Die vor uns liegenden Herausforderungen sind gewaltig, aber wir sind entschlossen, uns passend aufzustellen und sie zu bewältigen. Ohne Eure Unterstützung könnten wir es nicht schaffen und ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um allen, die uns seit Beginn der Krise in irgendeiner Weise unterstützt haben, ein großes Dankeschön auszusprechen. Die Tatsache, dass Ihr  bereit seid, uns in einer Zeit wie dieser, in der Ihr Euch um so viele andere Dinge kümmern müsst, die Hand auszustrecken, um uns zu helfen, ist ein Tribut an die Art von Menschen, die diese außergewöhnliche Hilfsorganisation unterstützen.

In den vergangenen vierzehn Tagen haben wir versucht, über Facebook, Instagram und unsere Internetseiten, alle über die Geschehnisse in Kalkutta auf dem Laufenden zu halten, indem wir Videos, Fotos und aktuelle Nachrichten geteilt haben. Ich zeige Euch ein Foto einer Studentin von Calcutta Rescue, welches mein Herz berührt hat - das der hartnäckigen Priti, eines 6-jährigen Mädchens, welches das Calcutta Rescue Bildungszentrum Girish Park besucht. Hier sitzt sie vergangene Woche auf den Zugschienen im Nimtala Slum und arbeitet fleißig an ihren Arbeitsblättern, die von unserer Lehrerin Arpita entworfen wurden.

Schaut Euch unsere Beiträge in den sozialen Medien an, in denen Pritis Geschichte und auch andere Beiträge zu finden sind und bitte teilt sie mit Freunden, wenn Ihr könnt. Wo auch immer Ihr seid und was auch immer Ihr in den kommenden Tagen tut, bleibt gesund.

Jaydeep Chakraborty

CEO Calcutta Rescue

Vierter Brief von Jaydeep